Die Analytische Psychologie
Grundgedanken zur Analytischen Psycholgie
Die Analytische Psychologie (AP) wurde von Carl Gustav Jung (1875-1961) begründet und gehört zusammen mit der Psychoanalyse Freuds und der Individualpsychologie Adlers zu den klassischen tiefenpsychologischen Richtungen. Unter Tiefenpsychologie werden jene psychologischen und psychotherapeutischen Richtungen verstanden, welche die Existenz eines unbewussten Bereichs als wesentlichen Aspekt der Psyche anerkennen und verschiedene Methoden nutzen, diesen zu erschließen. Dem von E. Bleuler geprägten Begriff der Tiefenpsychologie liegt die Auffassung zugrunde, dass in den unbewussten Prozessen die eigentlichen Energien, Motivationen, Organisations- und Steuerungsvorgänge liegen, die sich im Erleben und Verhalten des Individuums äußern.
C. G. Jung entwickelt seine Psychologie zunächst in der freundschaftlichen Beziehung zu Freud, 1913 kommt es aber zum Bruch mit Freud und der Psychoanalyse, ausgelöst durch Jungs abweichende Vorstellungen über das Unbewusste. Er führt den Begriff des kollektiven Unbewussten ein und von nun an ist ein Großteil seiner Arbeit darauf ausgerichtet, die Existenz, Bedeutung und Dynamik der archetypischen Dimension der Psyche nachzuweisen und zu verstehen. Sowohl für die Idee des Archetypischen als auch für seine anderen theoretischen Konzepte sucht er nach Vorläufern und Parallelen in der Kultur- und Geistesgeschichte der Menschheit. Für ihn gibt es ohne Geschichte keine Psychologie und keine Psychologie des Unbewussten, weil nur durch den historischen Vergleich der Standpunkt des jeweiligen Beobachters bestätigt und relativiert werden könne.
Parallelen zu seinen Konzepten und Begriffen findet er bei den Gnostikern, Neuplatonikern, Kirchenvätern, Mystikern und Hermetikern sowie in der romantischen Philosophie und in der Naturphilosophie (Goethe, Schelling, Schleiermacher, Schubart, Fichte, Nietzsche, Carus, Schopenhauer und E. von Hartmann). Stark beeinflusst wird er auch von T. Flournoy und W. James. Die Begegnung mit der Alchemie wird für Jung zum entscheidenden Erlebnis, da er feststellt, dass seine eigenen Erfahrungen und Auffassungen mit denen der Alchemisten erstaunlich übereinstimmen. Außer mit der Kultur und Philosophie des Abendlandes beschäftigt sich Jung intensiv mit westlichen und östlichen Religionen sowie mit den Mythen, Märchen, Sitten und Gebräuchen der Völker der Welt. Bis zu seinem Lebensende bilden seine alchemistischen Studien einen zentralen Inhalt seiner Forschung (GW 12, 13, 14/I und 14/II). Leider bleiben gerade diese Gedankengänge dem Leser meist schwer verständlich, was u. a. auf einen stark assoziativen Schreibstil Jungs, die Überfülle von parallelen Symbolen und motivgeschichtlichen Anreicherungen zurückzuführen ist.
Zeitlebens beschäftigen ihn Fragen des Religiösen (GW 11). Er vertritt die Auffassung, dass im Kern vieler seelischer Störungen die Frage nach dem tieferen Sinn des Lebens und der spirituellen Einstellung steht. Jung ist beeindruckt von der Tiefe und Vielfalt der psychischen Erfahrungen und Erkenntnisse, die sich in den östlichen Religionen spiegeln, lehnt aber eine unreflektierte Übernahme östlicher Übungswege und Vorstellungen für den westlichen Menschen ab. Die christliche Religion sei für den westlichen Menschen zwar immer noch bedeutsam, sie bedürfe aber einer neuen Sicht, die u. a. das weiblichen Prinzip sowie dessen Verbindung mit dem männlichen Prinzip und eine Anerkennung der ambivalenten Paradoxie des Gottesbildes, der dunklen Seite des Göttlichen, beinhalte.
Jung will mit seiner Psychologie allen Aspekten, Lebensäußerungen und Bedürfnissen des Menschen gerecht werden. Deshalb beschäftigt sich die Analytische Psychologie nicht nur mit seelischen Erkrankungen, sondern auch mit der gesunden und schöpferischen Entfaltung des Menschen, der Gesellschaft und der Kultur. Schon vor der Entwicklung der modernen kybernetischen, systemtheoretischen Modellvorstellungen hat Jung den Menschen als ein sich selbst regulierendes System beschrieben.
Im Zentrum seiner Persönlichkeitspsychologie steht das Selbst und die Individuation, die Entwicklung des Menschen auf ein erweitertes Bewusstsein, eine größere humanitäre Reife und soziale Verantwortlichkeit hin. Im Individuationsprozess soll der Mensch zu dem werden, der er von seinen Anlagen und Entwicklungsmöglichkeiten her ist. Er soll sich die verschiedenen Aspekte seines Wesens bewusst machen, verarbeiten und in sein Leben hinein nehmen. Hierzu gehören beispielsweise seine dunklen Seiten, die Jung unter dem Begriff des Schattens zusammenfasste und die im Gegensatz zu den nach außen dargestellten, gesellschaftlich erwünschten Aspekten stehen oder auch seine gegengeschlechtlichen Anteile (Animus = männliche Aspekte in der Frau; Anima = weibliche Aspekte im Mann). Er soll auch erfahren, dass er als Individuum eine körperlich-seelische Einheit und Ganzheit ist, die Jung in Anlehnung an die indische Philosophie das Selbst nannte und die in einer unauflösbaren Abhängigkeit und Verbundenheit mit der sozialen Mitwelt und Umwelt steht.
Von diesen Vorstellungen wird auch ein integratives Behandlungskonzept abgeleitet, in dem neben dem analytischen Aufarbeiten unbewusster (traumatischer) Erfahrungen und Konflikte die Förderung der kreativen Entfaltung und selbstverantwortlichen Lebensgestaltung von großer Bedeutung ist. Seelische wie körperliche Erkrankungen werden u. a. als Ausdruck dessen verstanden, dass das gesunde Wechselspiel der verschiedenen Polaritäten der Ganzheit des Organismus gestört ist. In der Psychotherapie wie auch im Individuationsprozess sollen die aus dem bisherigen Leben ausgeschlossenen und unbewusst gebliebenen Polaritätsaspekte dem bewussten Erleben und Verhalten schrittweise zugänglich gemacht werden, so dass es (wieder) zu einem dynamischen, schöpferischen Gleichgewicht zwischen den Polaritäten, zu einer "Vereinigung der Gegensätze" kommen kann.
Wichtiger Bestandteil einer analytischen Psychotherapie ist die Auseinandersetzung mit unbewussten Aspekten der Psyche, wie sie z. B. in den psychischen und somatischen Krankheitssymptomen, den inneren und äußeren Konflikten und Komplexen, der therapeutischen Beziehung oder in Träumen, Assoziationen, Fantasien und Symbolen zum Ausdruck kommen. Entsprechend der schöpferischen und finalen Sichtweise der Analytischen Psychologie spiegeln sich in diesen unbewussten Faktoren nicht nur pathogene Einstellungs- und Verhaltensweisen, sondern auch ungelebtes Leben und schöpferisches Potenzial.
Für Jung stand nicht eine vorgefasste Theorie oder Methode im Mittelpunkt der Therapie, sondern vor allem das, was der Eigenart und den Möglichkeiten des Patienten entsprach. Da jeder Patient an einer anderen Stelle seines Lebensprozesses steht, andere Erfahrungen gemacht hat, über andere Fähigkeiten und Begabungen verfügt, ist der Weg, den er zu seiner Heilung und Verwirklichung einschlägt, für Jung letztlich unvorhersehbar, nicht planbar oder organisierbar.
Jungs Leben und Werk bilden eine untrennbare Einheit. "Meine Werke können als Stationen meines Lebens angesehen werden; sie sind Ausdruck meiner inneren Entwicklung, denn die Beschäftigung mit den Inhalten des Unbewussten formt den Menschen und bewirkt seine Wandlung ... Alle meine Schriften sind sozusagen Aufträge von innen her; sie entstanden unter einem schicksalhaften Zwang ... Sie stellen eine Kompensation dar zu meiner kontemporären Welt, und ich musste das sagen, was niemand hören will." (Jaffé 1962, S. 225) Dass Jung immer wieder auch heftige Kritik erfahren hat, ist aber sicher nicht nur in seinen revolutionären Ideen begründet, sondern auch in seiner provokativen Persönlichkeit, seinem oft assoziativ-ausuferndem Schreibstil, seinen widersprüchlichen Begriffsdefinitionen und vor allem seinen anfänglichen Sympathien für die Ideologie des Nationalsozialismus.
Jungs Werke sind in fast alle europäischen und auch einige außereuropäischen Sprachen übersetzt worden. Die englische und deutsche Gesamtausgabe umfasst zur Zeit 18 Bände, dazu kommen drei Bände seiner gesammelten Briefe, weitere Seminarbände und eine Autobiographie, die von A. Jaffé (1962) aufgezeichnet und herausgegeben wurde.
Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten in Analytischer Psychologie und Psychotherapie gibt es im deutschsprachigen Raum in Berlin, Köln, München, Stuttgart, in Zürich, Küsnacht, Wien (vgl. Menüpunkt Interessante Links). Weltweit gibt es etwa 50 Ausbildungsinstitute, die unter der Internationalen Gesellschaft für Analytische Psychologie (IAAP) vereint sind.
Literaturliste
Einführende und weiterführende Literatur zur Analytischen Psychologie und zu C. G. Jung.
Müller, A., Müller, L: Praxis der Analytischen Psychologie: Ein Lehrbuch für eine integrative Psychotherapie. Stuttgart: Kohlhammer, 2018
Bair, Deirdre: C. G. Jung. Eine Biographie. München: Knaus, 2005
Dieckmann, H.: Methoden der Analytischen Psychologie. www.opus-magnum.de, 2004
Franz, Marie-Louise, von: C. G. Jung. Sein Mythos in unserer Zeit. Düsseldorf Walter 1996. Neuherausgabe: C. G. Jung. Leben, Werk und Visionen. Königsfurt 2001
Jacobi, J.: Die Psychologie von C. G. Jung. Fischer TB 1977
Jaffé, A.: C. G. Jung. Bild und Wort. Biografie und Bildband. Walter 1983
Jung, C. G., Franz, M.-L., Henderson, J., L.: Der Mensch und seine Symbole. Walter 1999
Jung, C. G., Jaffé, A.: Erinnerungen, Träume, Gedanken von C. G. Jung. Aufgezeichnet und herausgegeben von Aniela Jaffé. Zürich und Stuttgart 1962
Kast, V.: Die Dynamik der Symbole. Grundlagen der Jungschen Psychotherapie. DTV 1996
Müller, L., Müller, A. (Hrsg.): Wörterbuch der Analytischen Psychologie. Walter 2003
Samuels, A.: Jung und seine Nachfolger. Klett-Kotta 1999
Seifert, T. (1981): Lebensperspektiven der Psychologie. www.opus-magnum.de 2003
Stevens, A.: Das Phänomen C. G. Jung. Biografische Wurzeln einer Lehre. Düsseldorf Walter 1993
Wehr, G.: Carl Gustav Jung. Leben, Werk, Wirkung. München Kösel 1985
Leben und Werk C. G. Jungs
1875
C. G. Jung wurde am 26. Juli in Kesswiel (Thurgau/Bodensee) geboren. Vater: Johann Paul Achilles Jung (1842 - 1896), evangelisch-reformierter Pfarrer. Die Familie Jung stammt ursprünglich aus Mainz. Carl Gustav Jung, der 1864 verstorbene Großvater, ist im Alter von 28 Jahren in die Schweiz gezogen und auf Empfehlung von Alexander von Humboldt 1822 an die Universität Basel berufen worden. In der Familie wird die Legende tradiert, dieser berühmte, gleichnamige Großvater, dem sich Jung sehr nahe fühlte, sei ein natürlicher Sohn Goethes gewesen. Mutter: Emilie Preiswerk (1848-1923, Hausfrau, geborene Baslerin). Ihr Vater, Samuel Preiswerk, war ein bedeutender Theologe und Hebraist, der auch mit "Geistern Umgang pflegte". Seine zweite Frau, Jungs Großmutter, hatte, nachdem sie als 18-jährige 36 Stunden lang scheintot gewesen war, das "zweite Gesicht". Mediale Begabung, Interesse an Theologie, Medizin und Naturwissenschaften, also jene Bereiche, die sich in Jungs späterer Ausrichtung auf die Psychiatrie kreuzen, haben in der Familie Tradition.
1876
Ein halbes Jahr nach Jungs Geburt zieht die Familie vom Bodensee in die Nähe des Rheinfalls, nach Laufen. Jungs früheste Erinnerungen sind hier angesiedelt. Traum vom Riesenphallus als 3 bis 4-jähriger (ETG 18).
1879
Übersiedlung nach Kleinhüningen bei Basel, Schulzeit
1884
Geburt der Schwester Gertrud Jung (gest. 1935)
1887
Zentrales Erlebnis als 12-jähriger: "Ich muss denken" (ETG 42 f). Danach zwischen Kindheit und Erwachsenenalter: Entdeckung zweier Persönlichkeiten, die er Nr. 1 (bewusste Persönlichkeit) und Nr. 2 (innerer alter, weiser Mensch, Selbst) nennt. Vielseitige Interessen. "Las massenhaft ohne Plan: Drama, Lyrik, Geschichte, naturwissenschaftliche Werke" (ETG 68). Zunehmende Differenzierung der Interessen: Theologie ("Gott war für mich alles, nur nicht erbaulich" (ETG 77), Naturwissenschaft, Archäologie, Philosophie (Kant, Schopenhauer, ETG 74, Eduard von Hartmann, Nietzsche ETG 108). Weiterer wichtiger Traum von der flackernden bedrohten Kerze (ETG 92).
1895
Medizinstudium, vertieftes Interesse für Philosophie, Theologie, Naturwissenschaften, auch Okkultismus und Spiritismus.
1896
Tod des Vaters, erhebliche finanzielle Probleme.
1900
Entschluss, Psychiater zu werden; Assistent am Burghölzli unter Prof. Eugen Bleuler (ETG 120 ff). Er nennt diese Zeit sein "Weltkloster", u. a. freiwillige Klausur mit den 50 Bänden der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie. Lektüre von Freuds Traumdeutung (1900 - 1903). Zentrale Frage für ihn: Der Sinn der psychotischen Erscheinungen.
1902
Promotion: "Zur Psychologie und Pathologie so genannter okkulter Phänomene". Zentraler Gedanke: "Es ist daher nicht undenkbar, dass derartige Doppelbewusstseinserscheinungen nichts anderes sind als Charakterneubildungen oder Durchbruchsversuche der zukünftigen Persönlichkeit, die infolge besonderer Schwierigkeiten mit eigentümlichen Störungen des Bewusstseins verknüpft sind". Ein Semester bei Pierre Janet an der Salpetrière in Paris.
1903
Eheschließung mit Emma Rauschenbach; der Ehe entstammen fünf Kinder: Emma, die als still, klug und spontan fröhlich geschildert wird, stammt aus einer gutsituierten Schaffhauser Industriellenfamilie.
1905
Oberarzt am Burghölzli, Habilitation, Dozent für Psychiatrie an der Züricher Universität (bis 1913). Ludwig Binswanger promovierte bei ihm. Aufbau eines Laboratoriums für experimentelle Psychopathologie. Entwicklung des Assoziationsexperimentes. Erste Publikationen zu Assoziationen.
1906
Übersendung der Assoziationsstudien an Freud und Beginn des Briefwechsels mit ihm. Publikation: "Diagnostische Assoziationsstudien: Beiträge zur experimentellen Psychopathologie", Bd. I (GW 2)
1907
Erste persönliche Begegnung mit Freud in Wien (auf Freuds Einladung hin). 13 Stunden pausenloses Gespräch: "Der erste, wirklich bedeutende Mann, dem ich begegnete. Kein anderer Mensch in meiner damaligen Erfahrung konnte sich mit ihm messen" (ETG 153). Publikation: "Über die Psychologie der Dementia praecox" (GW 3)
1908
Jung wird am Burghölzli nahe gelegt, die Klinik zu verlassen. Man wirft ihm vor, seine Pflichten am Spital zugunsten seiner privaten Forschungen zu vernachlässigen. Eröffnet Privatpraxis.
1909
Sabina Spielrein / Toni Wolff. Spielrein, 1885 als Jüdin in Russland geboren, war 1904 nach jahrelangem psychischem Leiden in die Klinik Burghölzli gekommen. Im folgenden Jahr befindet sie sich in psychoanalytischer Behandlung bei Jung, aus der sich später eine persönliche Beziehung entwickelt. 1909 bricht Jung die Analyse ab. Spielrein wird später selber Analytikerin. Noch viele Jahre nach Abbruch der gemeinsamen Arbeit besteht zwischen den beiden ein Briefwechsel. 1941 wird sie von den Nazis umgebracht. 1909 war die 21-jährige Toni (Antonia) Wolff zu Jung in Behandlung gekommen. Sie wird bald Jungs offizieller Mitarbeiterin und "femme inspiratrice". Da eine Auflösung der Jungschen Ehe nicht in Frage kommt, muss sich Emma mit Toni und umgekehrt abfinden und in die entstehende Dreierbeziehung schicken. Toni Wolff bleibt bis zu ihrem Tode vierzig Jahre lang Jungs engste Mitarbeiterin. Bereits unter ihrer Mitwirkung erscheint der erste Teil des Buches "Wandlungen und Symbole der Libido". Zweiter Besuch bei Freud in Wien mit merkwürdigen parapsychologischen Phänomenen (ETG 159) und stärkeren Ambivalenzen. Während Freud ihn als Sohn "adoptiert" und zum "Kronprinzen" gesalbt zu haben meint, fühlt sich Jung "innerlich glücklichst befreit von drückenden Gefühl der Vaterautorität". Gemeinsame 7-wöchige Reise nach USA, Clark University. Gegenseitige Traumanalyse. Publikation: "Diagnostische Assoziationsstudien". Bd. II (GW 2)
1911
Präsident der von ihm gegründeten internationalen psychoanalytischen Vereinigung. Publikation: 1. Teil von "Wandlungen und Symbole der Libido". Die Publikation bedeutet eine Zuspitzung des Konflikts mit Freud.
1912
Publikation des 2. Teils von "Wandlungen und Symbole der Libido", worin Jung die Trennung von der Freudschen Psychoanalyse vollzieht. Die persönliche Freundschaft zwischen Jung und Freud bricht danach ab. Revidierte Neuauflage der Gesamtschrift 1952 unter dem Titel Symbole der Wandlung, GW 5.
1913
Trennung von Freud, Bezeichnung seiner eigenen Richtung als "Analytische Psychologie". Persönliche Krise und Einsamkeit: "Nach dem Bruch mit Freud fielen alle meine Freunde und Bekannten von mir ab... Riklin und Maeder waren die beiden Einzigen, die bei mir blieben" (ETG 171). Jung lässt sich nun auf eine Auseinandersetzung mit dem Unbewussten ein. Die Flut von Bildern aus dem Unbewussten ist derart überwältigend, dass er sich veranlasst sieht, seine akademische Laufbahn aufzugeben. Er zieht sich in seine Privatpraxis und auf seine persönliche Forschung zurück.
1914
Rücktritt als Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Publikation: "Versuch einer Darstellung der psychoanalytischen Theorie".
1916
Gründung des Psychologischen Clubs Zürich. Publikationen: Die transzendente Funktion (in GW 8) sowie "Septem Sermones ad Mortuos", ein Text im gnostischen Stil. Erste Beschreibung der Aktiven Imagination. Erste Anwendung der zentralen Begriffe persönliches und kollektives Unbewusstes, Anima, Animus, Selbst, Individuation ("Struktur des Unbewussten"). Erstes eigenes Mandala ("Natürlich hatte ich es nicht verstanden." ETG 199). Mit dem Mandala setzt er sich dann über zehn Jahre lang intensiv auseinander, bis er seine Erfahrungen und Erkenntnisse publiziert (Kommentar zu "Das Geheimnis der Goldenen Blüte', 1929, vgl. GW 13, auch: GW 9,I: "Über Mandala-Symbolik") und Die Struktur des Unbewussten (in GW 7, frühe Fassung von: "Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewussten", in GW 7)
1917
Publikation: "Die Psychologie der unbewussten Prozesse", ein Ergebnis seiner intensiven Auseinandersetzungen dieser Jahre
1918 - 1926
Studium der Gnostiker, Ausbau der Methodik des historisch-dokumentarischen Vergleichs (ETG 204) "Ohne Geschichte keine Psychologie" (ETG 209). Erweiterung des Interessentenkreises in Richtung Ethnologie.
1921
Reise nach Tunis und Nordafrika. Publikation: "Psychologische Typen" (GW 6). "Das Typenbuch brachte die Erkenntnis, dass jedes Urteil eines Menschen durch seinen Typus beschränkt und jede Betrachtungsweise eine relative ist. Damit erhob sich die Frage nach der Einheit, die diese Vielheit kompensiert." Der typologische Entwurf beinhaltet auch die Unterscheidung des "introvertierten" sowie des "extravertierten" Menschen - neben dem "Komplex" ein weiterer Ausdruck, der rasch Aufnahme in die Umgangssprache gefunden hat. Außerdem beinhaltet das Typenbuch Definitionen zentraler Begriffe, so wie Jung sie damals versteht.
1922
Landkauf in Bollingen, Bau des Turmes begonnen. Im Rhythmus von jeweils vier Jahren kommen Erweiterungen hinzu. 1955 findet der Bau seine endgültige Gestalt. Der Turm ist für ihn ein Ort, wo er sich in seinem eigentlichen Wesen aufgehoben fühlt. Das "Uralte", das er immer schon als einen Teil seiner selbst empfand, ist in diesem Bauwerk, das weder Elektrizität noch fliessendes Wasser kennt, zu Hause. Im Alter hält er sich fast die Hälfte des Jahres hier auf.
1923
Begegnung mit dem Sinologen Richard Wilhelm (ETG 380), der einen Vortrag über den I Ging im psychologischen Club in Zürich hielt. Jung hatte sich schon vorher mit östlicher Philosophie und dem I Ging beschäftigt. Es beginnt jetzt eine intensive Auseinandersetzung mit der östlichen Einstellung (u.a. GW 11, 13)
1924 / 1925:
Reise zu den Pueblo-Indianern in Arizona, New Mexiko.
1926
Reise nach Kenia und Uganda.
1928
Begegnung mit der Alchemie anhand des von R. Wilhelm übersandten chinesischen alchemistischen Traktates über die Goldene Blüte. Jung findet in diesem Text seine Gedanken über das Mandala und die Umkreisung der Mitte bestätigt. Beginn der alchemistischen Studien. Aufbau einer umfassenden alchemistischen Bibliothek. Publikationen: "Die Beziehungen zwischen dem Ich und dem Unbewussten" (in GW 7) sowie "Über die Energetik der Seele" (1948 wesentlich erweitert mit neuem Titel: "Über psychische Energetik und das Wesen der Träume", in GW 8)
1929
Publikation mit R. Wilhelm: "Das Geheimnis der Goldenen Blüte" (Kommentar, in GW 13)
1931
Publikation: "Seelenprobleme der Gegenwart" (Aufsätze, erschienen teilweise auch in Bänden der Gesammelten Werke, u.a. in GW 10, 16)
1932
Dass Jung zu Beginn der dreißiger Jahre zu einigem Renommee gelangt und "einer der angesehensten Bürger Zürichs" war, bezeugen die zahlreichen Ehrungen, die in dieser Zeit einsetzen: 1932 verleiht ihm die Stadt Zürich ihren Literaturpreis. 1935 ernennt ihn die Eidgenossische Technische Hochschule in Zürich, wo er die vor dem Ersten Weltkrieg unterbrochene akademische Lehrtätigkeit wieder aufgenommen hat, zum Titularprofessor. Er gibt das Amt 1942 aus Gesundheitsgründen wieder auf. Im folgenden Jahr verleiht ihm die Universität in Harvard den Ehrendoktortitel, weitere folgen aus Kalkutta, Benares, Allahabad und Oxford. 1944 schließt sich die Universität Basel an, 1945 Genf. Dem Achtzigjährigen verleiht die ETH Zürich den Ehrendoktor der Naturwissenschaften.
1932
Begegnung mit dem Indologen Heinrich Zimmer (ETG 385). Publikationen: Zwei umstrittenen Aufsätze zur Kunst: Eine ausführlichere Kritik zu Ulysses von James Joyce, sowie ein Essay anlässlich der grossen Picasso-Ausstellung im Zürcher Kunsthaus. Der Psychologe hat sich, wie er in einem Brief gesteht, fast drei Jahre lang mit dem Ulysses gequält und gelangweilt, aber auch eine "wahre Kette psychologischer Kostbarkeiten" in den "vierzig Non-stop-Seiten am Schluss des Buches" gefunden. Jung lernte den irischen Autor übrigens erst viel später kennen, als Joyce ihn wegen seiner psychisch kranken Tochter Lucia konsultierte.
1933
In Deutschland gewinnen die Nationalsozialisten seit Beginn der 30iger Jahre an Zulauf. Jung beobachtet das Zeitgeschehen aus seinem spezifischen Sichtwinkel. Lange vorher (1918) schon warnte er: "Je mehr die unbedingte Autorität der christlichen Weltanschauung sich verliert, desto vernehmlicher wird sich die "blonde Bestie" in ihrem unterirdischen Gefängnis umdrehen und uns mit einem Ausbruch mit verheerenden Folgen bedrohen." Und 1932: "Uns bedrohen in Schrecken erregendem Maße Kriege und Revolutionen, die nichts anderes sind als psychische Epidemien." Die individualistische Tendenz der letzten Jahrhunderte rufe einen "kompensatorischen Rückschlag zum Kollektivmenschen" hervor. Bereits im Schatten von Hitlers Machtergreifung übernimmt Jung, nach drei Jahren Vizepräsidentschaft, das Amt des Präsidenten der "Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie", das er bis 1940 inne hat. Einen Schweizer zum Präsidenten zu machen, war ein Versuch, die Gesellschaft, die deutsch und international war - der Gesellschaft gehörten schon immer nicht nur deutsche Psychiater an, sie wurde aber als Deutsche Gesellschaft bezeichnet - der direkten Gleichschaltung durch die Nazis zu entziehen. Das Fortbestehen der Tiefenpsychologie wurde zur Zeit der zunehmenden "Gleichschaltung" grundsätzlich in Frage gestellt. Unter Jungs Vorsitz wurde die Gesellschaft schon nach wenigen Monaten durch Statutenänderung internationalisiert. Die Internationalisierung ermöglichte die Bildung von Landesgruppen, dadurch unterlag nur die 1934 gegründete deutsche Gruppe den rigorosen nationalsozialistischen Gleichschaltungs-Maßnahmen. Mit der Funktion des Vorsitzes der Gesellschaft verbunden war die Herausgeberschaft der Verbandszeitschrift "Zentralblatt für die Psychotherapie". Dieser deutschen "Allgemeinen deutschen ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie" stand Mathias Göring, Vetter des Ministerpräsidenten und späteren Reichsmarschalls Hermann Göring, vor, welcher im Dezember 1933 im "Zentralblatt" eine Gründungserklärung publizierte, die keine Zweifel an der eindeutig nationalsozialistischen Ausrichtung der Gesellschaft ließ. Jung hatte, eigenen Angaben zufolge, vom Inhalt vor der Publikation nichts gewusst. Im Geleitwort schreibt er dennoch, die "Verschiedenheiten der germanischen und der jüdischen Psychologie sollen nicht mehr verwischt werden, was der Wissenschaft nur förderlich sein kann". Mit dieser und anderen ähnlichen Äußerungen gerät er, jedenfalls in der Terminologie, immer wieder in eine bedenkliche Nähe zum Nationalsozialismus. So etwa, wenn er andernorts schreibt: "Das arische Unbewusste hat ein höheres Potential als das jüdische; das ist der Vorteil und der Nachteil einer dem Barbarischen noch nicht völlig entfremdeten Jugendlichkeit." Herbert Marcuse, Erich Kästner, Emst Bloch, Erich Fromm und andere Zeitgenossen halten mit ihrer Kritik denn auch nicht zurück. Später wird Jung zu seiner Verteidigung vorbringen, es sei sein Anliegen gewesen, die Psychotherapie als solche, unter den gegebenen Bedingungen, zu retten. Leo Baeck gegenüber, berichtet Gerschom Scholem, soll Jung kurz nach dem Krieg bekannt haben: "Jawohl, ich bin ausgerutscht." 1945 äußert er sich zu seiner Verstrickung in einem Aufsatz (Nach der Katastrophe, in GW 10), allerdings für die Kritiker nicht in einer gewünschten Selbstkritik und Deutlichkeit. In der Folge haftet Jung der Vorwurf an, er sei Antisemit und Nationalsozialist gewesen. Auf die Rezeption und Verbreitung der Analytischen Psychologie wirkt sich das negativ aus. U. a. A. Jaffé, jüdische Mitarbeiterin von Jung und M. Neumann, der Sohn von Jungs jüdischem Mitarbeiter E. Neumann setzen sich mit diesen Vorwürfen gegenüber Jung auseinander und betonen, Jung sei kein Antisemit gewesen.
1933
Vorlesungen an der Freifächerabteilung der ETH, erhalten in Form von Hörernachschriften. Es beginnen die Eranos-Tagungen in Ascona, die Olga Fröbe-Kapteyn ins Leben gerufen hat. An diesen internationalen Konferenzen kommt es zu einem fruchtbaren interdisziplinären Austausch. Jung bestimmt maßgebend die geistige Linie der Tagungen mit. Unter den namhaften Teilnehmern finden sich in den folgenden Jahren auch Adolf Portmann, Martin Buber, Heinrich Zimmer, Karl Kerenyi, Erich Neumann, Hugo Rahner und viele andere mehr. Für Jung entwickeln sich die Begegnungen zu einer Plattform für anregende Auseinandersetzung in Hinsicht auf seine in Entstehung begriffenen Arbeiten. Die Beiträge liegen in Jahrbüchern gesammelt vor.
1934
Publikation: "Wirklichkeit der Seele" und Antrittsvorlesung in Zürich: "Allgemeines zur Komplextheorie", überarbeitet in "Über psychische Energetik und das Wesen der Träume" (in GW 8)
1935
Titularprofessor der ETH Zürich und zahlreiche andere Ehrungen. Jung ist inzwischen sechzig, hält die prestigeträchtigen Tavistock Lectures in London über Grundlagen der Analytischen Psychologie, gewährt anlässlich der Eranos-Tagung in seinem Vortrag über Traumsymbole des Individuationsprozesses erstmals Einblick in seine eingehenden alchemistischen Forschungen.
1936
Publikation: "Wotan" (in GW 10). Der Nationalsozialismus als Ausbruch eines Archetyps lautet seine Diagnose der Ereignisse in Deutschland. Der heidnische Gott erkläre mehr als rationale Deutungen, er sei ein "Sturm- und Brausegott, ein Entfessler der Leidenschaften und der Kampfbegier, und zudem ein übermächtiger Zauberer und Illusionskünstler", der die Masse zu "Dingen" anstacheln könnte, "von denen wir uns jetzt allerdings noch schlecht eine Vorstellung machen können".
1937
Vorlesung in London über Psychologie und nationale Probleme und in New Haven/Connecticut an der Yale University über Psychologie und Religion. Ende des Jahres reist Jung auf Einladung der britisch-indischen Regierung nach Indien.
1938
Freud emigriert nach London. Es findet der letzte Kongress der "Internationalen Gesellschaft" unter Jungs Präsidentschaft statt.
1938
Reise nach Indien, u. a. mit 3 Ehrendoktoraten verbunden (ETG 284).
1940
Zusammenarbeit mit dem ungarischen Philologen und Mythenforscher Carl Kerenyi. Gemeinsame Publikationen. Jungs Schriften werden in Deutschland verboten. Publikation: "Psychologie und Religion" (in GW 11), hervorgegangen aus den Terry-Lectures von 1937. Jung äußert sich erstmals ausführlich zur heiklen Frage einer Konfrontation von Psychologie und religiöser Weltanschauung.
1941
Vorträge über Paracelsus, veröffentlicht 1942 als Paracelsica (in GW 13). Zwei Vorlesungen über den Arzt und Philosophen Theophrastus, in denen die religiöse Frage und die Alchemie erörtert werden. Rund um die Schweiz wütet der Krieg.
1944
Berufung nach Basel. Jung erhält ein persönliches Ordinariat für medizinische Psychologie, das er nach einem Jahr wegen schwerer Erkrankung (Herzinfarkt) aufgeben muss. Im schweren Krankheitszustand erlebt Jung ekstatische Visionen - so sieht er die Erde aus einer Höhe von 1500 Kilometern -, von denen er in Erinnerungen, Träume, Gedanken auf mehreren Seiten erzählt. Publikation: "Psychologie und Alchemie" (GW 12) - teilweise schon 1935 vorgetragen als Traumsymbole des Individuationsprozesses. In den folgenden siebzehn Jahren entstehen viele von Jungs Hauptwerken, die der Analytischen Psychologie ihre spezifische geistig-philosophische Prägung geben.
1946
Publikation: "Psychologie der Übertragung" (GW 16)
1948
24. April, Gründung des C. G. Jung-lnstituts in Zürich. Publikationen: "Symbolik des Geistes" (GW 11 und 13) sowie "Über psychische Energetik und das Wesen der Träume" (GW 8).
1951
Jung hält seinen letzten Eranos-Vortrag (über Synchronizität). Publikation: "Aion" (GW 9,II)
1952
Publikationen: "Antwort auf Hiob" (in GW 11). Jung ruft mit diesem Werk heftige Reaktionen und Anfeindungen hervor, die das Buch sogar auf die amerikanischen Bestsellerlisten treiben. "Synchronizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge" (in GW 8). In Zusammenarbeit mit Wolfgang Pauli löst Jung, wie er in der Vorrede schreibt, "sozusagen ein Versprechen ein, an dessen Erfüllung ich mich viele Jahre lang nicht gewagt habe ... Wenn ich nun dennoch meine Scheu überwunden habe, so geschah es hauptsächlich deshalb, weil sich ... meine Erfahrungen mit dem Synchronizitätsphänomen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt häuften."
1955
Tod von Emma Jung am 27. November. Ihr Werk "Die Gralslegende in psychologischer Sicht" wird von Marie-Louise von Franz zu Ende geführt. Publikation: "Mysterium Coniunctionis", Band I (GW 14,I)
1956
Publikation: "Mysterium Coniunctionis", Band II (GW 14.II) Die Bände setzen den Schlusspunkt zum Thema der Gegenüberstellung von Alchemie und der Psychologie des Unbewussten und gelten für viele als Jungs Hauptwerk. In den folgenden letzten Lebensjahren widmet sich Jung seiner Korrespondenz täglich mehrere Stunden lang (GW Briefe). In vielen Briefen verdeutlich er auf Anfragen seiner Briefpartner auf gut verständliche, konkrete und anschauliche Weise die Essentials der Analytischen Psychologie.
1957
Die im vorangegangenen Sommer auf Anregung des Verlegers Kurt Wolff gefasste Idee, eine Biografie Jungs herauszugeben, nimmt ab Frühjahr 1957 Gestalt an. Zunächst wird Aniela Jaffé, die ab 1947 Sekretarin des C. G. Jung Instituts, später von Jung persönlich war, zur "Biografin" bestimmt. Indem sie Fragen stellt, auf die Jung dann antwortet, wird er veranlasst, sein Leben zu erzählen - ein Unternehmen, dem er zunächst nur widerwillig zustimmt. Er war mit Angaben zu seinem Privatleben immer sehr zurückhaltend gewesen. Ende des Jahres beginnt er doch selber über seine Kindheit zu schreiben, obschon ihn das Schreiben sehr anstrengt. "Ein Buch von mir ist immer ein Schicksal. Es liegt etwas Unabsehbares darin, und ich kann mir nichts vorschreiben oder vornehmen. So nimmt auch die Autobiografie schon jetzt einen anderen Weg, als ich mir zu Beginn vorgestellt hatte. Dass ich meine frühen Erinnerungen niederschreibe, ist eine Notwendigkeit. Unterlasse ich es auch nur einen Tag, so stellen sich sogleich unangenehme körperliche Symptome ein." Weitere Kapitel drängen sich ihm auf. Richard Evans kann ihn daneben für vier je einstündige Filminterviews gewinnen. Jung findet auch noch Kraft für weitere Gespräche, darunter eines für den Schweizer Rundfunk.
1958
Beginn der Herausgabe seiner Gesammelten Werke. Publikation: "Ein moderner Mythus" (in GW 10)
1960
Anlässlich seines 85. Geburtstags wird Jung zum Ehrenbürger von Küsnacht ernannt. Schon unmittelbar nach dem Geburtstag erkrankt er ernstlich, erholt sich aber nochmals. Er nimmt seine spärlichen Kräfte für eine letzte Arbeit zusammen: "Der Mensch und seine Symbole". Das - mit Absicht - eher populär gehaltene Buch ist eine Einführung in die Analytische Psychologie, an der mehrere Autoren und Autorinnen beteiligt sind. Jung steuert das Kapitel Zugang zum Unbewussten bei, in dem er resümiert: "In einer Periode der menschlichen Geschichte, da alle verfügbare Energie auf die Erforschung der Natur verwandt wird, untersucht man zwar die bewussten Funktionen des Menschen, aber der wirklich komplizierte Teil des Geistes, der die Symbole hervorbringt, ist immer noch weitgehend unerforscht. Es scheint fast unglaublich, dass, obwohl wir jede Nacht von dort Signale empfangen, eine Entzifferung dieser Mitteilungen den meisten Menschen zu lästig erscheint. Das bedeutendste Instrument des Menschen, seine Psyche, wird kaum beachtet, oft sogar mit Misstrauen und Verachtung angesehen. Da heisst es sehr häufig: Es bedeutet gar nichts."
1961
Nach Wochen der Krankheit stirbt C. G. Jung am 6. Juni in seinem Haus in Küsnacht.
(Die bei „ETG“ in Klammern gesetzten Ziffern beziehen sich auf entsprechende Seiten von Jungs Autobiografie: Erinnerungen, Träume, Gedanken, hrsg. von Aniel Jaffé. Die biografische Skizze enthält selbstverständlich keine vollständige Bibliografie. Zusammengestellt von T. Seifert, überarbeitet und erweitert von A. und L. Müller)